Einmal schmieren heißt immer schmieren

Interview. Lasse man Korruption zu, könne man nicht aufhören, so Reiwag-Chef Viktor Wagner.

von Antonia Löffler

Er erzählt, wieso ein Unfall seiner Reinigungsfirma geholfen habe, er Probleme mit muslimischen Mitarbeitern habe und er nicht alle Aufträge bekomme.

Die Presse: Sie haben in der Zentralsparkasse begonnen. Der klassische Beruf fürs Leben. Wie hat es Sie von dort in die Reinigungsbranche verschlagen?

Viktor Wagner: Mein Großvater hat 1903 eine Reinigungsfirma gegründet. Aber mein Vater meinte, das sei unsicher. Ich soll etwas Pragmatisiertes machen. So bin ich in die Zentralsparkasse gegangen. Ich bin dankbar für die Zeit, weil ich dort gelernt habe, dass Geld bedrucktes Papier ist, das man möglichst emotionslos behandeln sollte. Die Mutter eines Freundes hat dann gemeint, ich soll nach New York gehen und mir die Gebäudereinigung ansehen, das sei das Geschäft der Zukunft.

Wieso New York?

Sie hatte Informationen von Bekannten dort. Also flog ich mit der billigsten Maschine – es war abenteuerlich – 1967 nach New York und habe bei National Cleaning gelernt. Aber ich hatte nicht das Geld, um lang zu bleiben, und konnte mir nur eine Mahlzeit am Tag leisten. Als ich zurück war, habe ich meinen Vater um seinen Gewerbeschein gebeten.

Er hatte nichts mehr dagegen?

„Ich kann's eh nicht verhindern“, waren seine Worte. Ich hatte gleich einen – unverschuldeten – Autounfall, was mir das Grundkapital für einen VW-Käfer gegeben hat. Da habe ich den Beifahrersitz für die Putzmaschine ausgebaut, bin am Ring von einem Lokal zum nächsten gegangen und habe mich vorgestellt: „Guten Tag, ich möchte bitte Ihre Scheiben putzen.“

Die Antwort war „Willkommen“?

Nicht immer, bis heute ist ein Teil meines Erfolgs die Hartnäckigkeit. Wenn man Ziele hat – und die sind hoffentlich vernünftig –, sollte man nicht aufgeben. 1968 hatte ich das Glück, dass ich mit dem Wissen aus Amerika zum gleichen Preis wie die Mitbewerber mehr verdienen konnte, weil ich die Abläufe wirtschaftlicher gestaltet habe.

Wo lag der Unterschied?

In großen Büros war es etwa noch nicht selbstverständlich, den Reinigungswagen in die Mitte des Raums zu stellen, damit die Wege so kurz wie möglich sind. Das bringt Zeit und Geld. Das waren die goldenen Zeiten, als das Wirtschaftswunder begonnen hat und viele Gebäude entstanden sind.

Die goldenen Zeiten sind vorbei – wie wachsen Sie seitdem?

Ich werde Ostpionier genannt, weil ich 1991 als erste Reinigungsfirma in die Tschechoslowakei gegangen bin. Fünf Jahre später hatte ich die Idee, in die Stadtstraßenreinigung und Müllabfuhr in Prag zu investieren. Die Stadt wurde später mein Aktionär.

Haben Sie noch andere Städte ins Boot holen können?

Vor 27 Jahren ist mein damaliger Hund verstorben, und meine Frau hat gesagt, er darf nicht zu Tierfutter verarbeitet werden. Ich habe mich umgesehen, wer in Wien Tiere verbrennt, und eine Firma gefunden, die das mehr schlecht als recht gemacht hat. Ich habe sie gekauft und daraus das Wiener Tierkrematorium gemacht, das zu 51 Prozent mir und zu 49 Prozent der Stadt gehört. Der Stellenwert des Haustiers wird immer größer, das ist eine Erfolgsgeschichte.

Hören Sie oft Vorurteile gegen Ihren Berufsstand?

Ja, am Anfang war das Image der Reinigungskraft schwer verbesserungswürdig. Es war und ist unsere Aufgabe, die Kunden darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um wundervolle Menschen handelt, die zum Teil unverschuldet nicht die Chance hatten, die Bildung zu bekommen, die wir erhalten haben, und die aus ihrem Leben etwas machen. Wir haben fast keine Fluktuation, die Menschen wissen, dass sie wertvoll sind.

Das lockt wenige Österreicher.

Das ist richtig, wir haben wenige Österreicher. Bei uns arbeiten Menschen aus 39 Ländern, vor allem aus dem früheren Großjugoslawien. Die Kinder gehen hier zur Schule und sind oft völlig akzentfreie Österreicher. Diese Kultur hat eine höhere Akzeptanz, sich anzupassen, als die muslimische. Auch beim Putzen: Wir hatten muslimische Mitarbeiter, die sich von einer Frau nichts sagen lassen wollten. Ist jemand Vorgesetzter, ist das Geschlecht egal. Wer das nicht akzeptiert, muss überlegen, ob er in der Firma gut aufgehoben ist.

Sie sind in osteuropäischen Ländern aktiv, aus denen viele Reinigungskräfte kommen: Finden Sie dort noch genügend Mitarbeiter?

Wir haben in Tschechien große Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden. Dort kommen viele Reinigungskräfte aus der Ukraine. Tschechen gehen wie Österreicher oder Deutsche kaum in die Gebäudereinigung. Es gibt eine Völkerwanderung in die Länder, wo die Arbeit wesentlich besser bezahlt wird als in der Heimat.

Das ist eine Kettenreaktion von Moldawien bis nach Österreich.

Das ist das Spiel von Angebot und Nachfrage. Ich war jetzt bei der Jobbörse für Asylberechtigte und von den guten Deutschkenntnissen überrascht. Das ist ein Schlüssel. Wir haben Schulungen, bei denen Anwendungstechnik, Chemie-, Maschinenkunde gelehrt wird. Wer das nicht versteht, den dürfen wir nicht zum Kunden schicken.

Was fordern Sie sonst?

Was ich meinen Mitarbeitern in allen Ländern eingeschärft habe: Ja nicht schmieren. Einmal schmieren, immer schmieren. Man weiß nicht, wo das Geld hinkommt. Und gibt es eine politische Veränderung in dem Land, kann man vom Aufdeckungsskandal mitbetroffen sein und ist weg. Manche Ausschreibungen bekommen wir nicht und werden da und dort von Auftraggebern boykottiert.

In welchen Ländern?

Korruption gibt es überall. Auch in Österreich. Das ist sattsam bekannt. In Rumänien ist es besonders problematisch. Wir machen überhaupt kein Geschäft mit der rumänischen Regierung.

Sie sagten, Sie haben gelernt, mit Geld emotionslos umzugehen. Ist Ihnen das im Lauf der Karriere immer gelungen?

Die Reiwag ist komplett eigenkapitalfinanziert. Ich habe immer nur das Geld ausgegeben, das ich schon verdient habe. Wir finanzieren die Expansion aus dem Cashflow und schütten keine Gewinne aus. Das brauchen wir nicht. Ich habe ein vernünftiges Einkommen, das reicht vollkommen aus.

Privat sind Sie auch vorsichtig?

Bis vor einigen Jahren gab es noch attraktive Zinsen für Sparguthaben, aber mittlerweile bleibt gar nichts übrig, als sich mit alternativen Anlagen zu beschäftigen. Wir haben als Reiwag die Verantwortung, Rücklagen zu bilden, und haben Anlagen mit kleinem und mittlerem Risiko aufgenommen.

Ich meinte eigentlich Ihr Privatvermögen.

Privat habe ich nicht so ein Vermögen, dass es sich auszahlt.

Sie haben nichts für die Pension zur Seite gelegt?

Ich bin ja schon im Pensionsalter und bekomme kurioserweise auch eine Pension, die ich versteuern muss. Aber das ist sekundär. Natürlich habe ich Rücklagen gebildet, meine Firmen haben einen Wert. Ich habe sie in eine Stiftung eingebracht, weil ich die Langfristigkeit möchte. Das ist genau der Unterschied zum gefährlichen aktiengetriebenen Quartalsdenken.

Kein Gedanke an Ruhestand?

Ich habe vor einiger Zeit ein Interview gegeben: Mir ist das Alter eines Mitarbeiters egal, er muss nur physisch und psychisch in der Lage sein, den Wünschen des Auftraggebers gerecht zu werden. Mich hat ein 64-Jähriger angerufen, ob ich das ernst meine. Ich habe ihn eingeladen, und wir haben ihn aufgenommen. Ich habe genaue Pläne, wann ich mich – als sehr aktiver Aufsichtsratschef – zurückziehen werde, das ist alles schon organisiert. 

Quelle: Die Presse, Printausgabe, erschienen am 4. Februar 2019

ZUR PERSON

Viktor Wagner gründete 1968 das Wiener Reinigungsunternehmen Reiwag – mit einem umgebauten VW-Käfer und einem Mitarbeiter. Heute arbeiten rund 3000 Menschen in Österreich, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Serbien und Rumänien für seine Gruppe, die mit Gebäudereinigung und -instandhaltung zuletzt 76,5 Mio. Euro umgesetzt hat. „Kurioserweise“ bekomme er bereits Pension – an den Ruhestand denkt Wagner noch nicht.